Der Elefant auf dem Fahrrad

Von Brigitte Voykowitsch · · 2007/05

In der letzten Zeit ist eine Reihe von Büchern erschienen, die sich mit der Entwicklung des größten und bevölkerungsreichsten Landes der Welt befassen.

Die ewige Große Mauer: „Selbst wenn die Volksrepublik China sich in den nächsten Jahrzehnten nach dem liberalen Modell des Westens oder auch nach dem Modell von George W. Bush in eine Demokratie verwandeln würde (was nicht wahrscheinlich ist), hat das chinesische Reich doch eine zu lange Geschichte […], um seine Jahrtausende alten Marotten aufzugeben. Es wird den Glauben an seine kulturelle und politische Einzigartigkeit sowie das Bedürfnis nach Abgrenzung […] nicht verlieren. […] China wird, wie es aussieht, immer eine Große Mauer haben“, schreibt Julia Lovell in ihrem Buch „Die große Mauer“. Die Mauer nimmt die an der Universität Cambridge lehrende Wissenschaftlerin als Symbol für Chinas ewiges Schwanken zwischen Offenheit und Isolationismus, zwischen dem Streben nach Integration in die Weltgemeinschaft und dem Bestehen auf eigenen Spielregeln.

Der rasche Wandel der Volksrepublik zur „sozialistischen Marktwirtschaft“ fasziniert weiterhin. Die Schwindel erregende Transformation der großen Städte und das Wiederaufblühen Shanghais mit seinem Lifestyle und seinem Nachtleben beeindrucken. Doch zugleich wachsen die Ängste. Das regelmäßige politische Säbelrasseln der Atommacht, Pekings Drohungen gegen Taiwan, das es als abtrünnige Provinz betrachtet und notfalls mit Gewalt heimholen will, verunsichern ebenso wie Chinas Exportbilanz, seine Gier nach Rohstoffen und sein, mit dem Bemühen um Rohstoffsicherung verbundenes Vordringen nach Afrika und Lateinamerika.
Wird China den Westen wirtschaftlich von der Bühne fegen? Wird der Westen den „Angriff aus Asien“ (Wolfgang Hirn) respektive aus den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) überleben? Eine künftige Dominanz Chinas wird dabei nicht nur aus ökonomischer und ökologischer Sicht als bedrohlich empfunden, sondern auch als Gefahr für die westliche Kultur und das westliche Wertesystem. Nach Ansicht mancher Analysten (Jean-François Susbielle z.B.) ist der amerikanisch-chinesische Wirtschaftskrieg längst im Gange, während beide Seiten zugleich zum militärischen Showdown rüsten.
Chinas Wachstum wird immer mehr als Bedrohung gesehen. Zugleich scheint Übereinstimmung dahingehend zu bestehen, dass China es sich nicht leisten kann zu bremsen. „Wie Wirtschaftswissenschaftler in Peking gerne sagen, gleicht China einem Elefanten auf einem Fahrrad. Wenn er langsamer wird, könnte er herunterfallen und ein Erdbeben auslösen“, formuliert es James Kynge. Würde der Elefant vom Fahrrad fallen, wären die sozialen Konsequenzen unabsehbar.

Auch in der Volksrepublik selbst werden skeptische Stimmen laut. Mao Zedong hatte die Volksrepublik in eine katastrophale Lage gebracht, schreibt die ausgebildete Historikerin und Ökonomin Qinglian He. Der wenige Jahre nach dem Tod von Mao Zedong 1978 eingeleitete Reformkurs habe das Land nun in die Modernisierungsfalle geführt. Angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, der Rolle von mafiosen Kräften sowie der steigenden Korruption und Kriminalität schließt Qinglian He Volksaufstände, die weit über die mittlerweile alltäglichen Proteste hinausgehen, nicht aus. Angesichts der Zustände am Land, wo noch immer die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung lebt, scheinen solche Revolten durchaus verständlich. Bauern und Bäuerinnen werden eingeschüchtert, geschlagen, misshandelt, verhaftet und getötet, weil sie gegen Missstände protestieren, gegen illegale Abgaben Widerstand leisten oder die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen fordern, berichten Chen Guidi und Wu Chuntao. Dabei sind diese Menschen, das ist wichtig zu betonen, allesamt keine Dissidenten, die die Kommunistische Partei an sich in Frage stellen. Das tun auch die beiden Autoren nicht. Sie sind aber sehr wohl Systemkritiker, die die KP an ihren eigenen, in unzähligen Dokumenten gemachten Versprechungen und Zusagen messen.
An Besorgnis erregenden Berichten mangelt es ebenso wenig wie an Katastrophenszenarien. Ob sich die KP mit Gewalt an der Macht festklammern wird oder China den Übergang in eine demokratische Zukunft schafft – laut Qinglian He ist die weitere Entwicklung Chinas in jedem Fall mit enormen Gefahren und hohen Kosten verbunden.


Chen Guidi & Wu Chuntao: Zur Lage der chinesischen Bauern. Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann, Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main 2006

Qinglian He: China in der Modernisierungsfalle. Aus dem Chinesischen von Christine Reisner. Hamburger Edition, Hamburg 2006

Wolfgang Hirn: Angriff aus Asien. Wie uns die neuen Wirtschaftsmächte überholen. Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 2007

James Kynge: China: Der Aufsteig einer hungrigen Nation. Aus dem Englischen von Claudia Preuschoft, Murmann Verlag, Hamburg 2006

Julia Lovell: Die Große Mauer: China gegen den Rest der Welt. Aus dem Englischen von Ursula Pesch und Heike Schlatterer, Theiss Verlag, Stuttgart 2007

Jean-Francois Susbielle: China – USA. Der programmierte Krieg. Propyläen-Verlag, Berlin 2007

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